Archiv für den Monat: Juni 2013

Querhandeln, Weiterbildung und Zwischenraumfahrer

Zur „Weiter-Bildung“ von Systeminnenräumen …

Lebenslangen Lernen ist in vielen Mündern: in denen der Unternehmensorganisation ebenso wie in denen von Instituten und staatlichen Einrichtungen. Also ob wir auch nicht lernen könnten, wenn wir leben. Denn jeder findet sich in einem Umfeld wieder („der Kontext“), in dem er mehr oder weniger aktiv ist. Er wird z.B. selbst tätig – oder er lässt sich betätigen, was wir dann „funktionieren“ verbinden. Wenn die Tätigkeit untätig ist, dann reden wir von „sich bedienen lassen“. Diese unterschiedlichen Aktionsmodi kennen Sie vermutlich aus Ihrer Arbeits- und Familienkultur. Eltern kennen es gut von Pubertierenden. „Bedienen“ ist aber auch auffälligstes Merkmal der modernen Medienkultur: sie liefert, wir nehmen auf – und manchmal sind wir damit bedient.

Damit das mediale Bedienen einen positiven Anstrich bekommt, nennen wir diese Daseinsform „Unterhaltung“. Ich denke bei dem Wort unwillkürlich auch an Unterhalt und damit Abhängigkeit. Das heißt, wer sich selbst nicht halten kann (durchaus auch im Sinne von erhalten), ist in einem Maße mehr auf andere angewiesen als es ihm eigentlich entspricht. Der Wort und Bedeutungsspieler sieht im kursiv gedruckten auch die Worte „eigen“ und „ich“ – und der Coach nutzt es als Intervention …

Die Bildungschance für morgen besteht also darin, die Weiterbildung in eine „Weiter-Bildung“ zu transformieren, damit der oder die Einzelne zu einer breiteren und größeren Handlungsfähigkeit befähigt werden. Denn neben dem äußeren Möglichkeitsraum muss auch der individuelle Systeminnenraum, der die Verhaltensmöglichkeiten und damit die Anschlussmuster an die Außenwelt generiert, entsprechend wachsen. An dieser Stelle lässt sich auf ein Zitat Heinz von Foerster verweisen oder auch Ashby’s Law, was ich mir en Detail jedoch erspare.

Bildet sich auf der Innenseiten eines (lebenden) Systems die Komplexität der Außenwelt nur unzureichend ab, dann gerät das System früher oder später in eine existenzielle Schieflage. Und dann tritt allmählich eine gewisse Abschottung, ein „Dichtmachen“ ein, d.h. der Austausch mit der Umwelt und damit die Chance auf Erhöhung der Binnenstruktur verringert sich. Die verminderte Anschlussfähigkeit erzeugt eine negative Rückkopplung, d.h. sie verstärkt diesen ausgrenzenden Prozess, bis irgendwann schließlich ein existenzielles Notprogramm getriggert wird: d.h. es treten archaische Verhaltensweisen in den (Inter)Aktionsraum, die viele andere Beobachter und Agierende in der Außenwelt schon längst vergessen glaubten (vgl. aggressive männliche Jugendliche).

Aber welcher Körper vergisst schon etwas …? Vergessen kann doch nur unser Verstand, oder nicht? Denn wer bildet sich „weiter“? Ist es bloß der Verstand, der sich ein neues Trainingsmodul „downloaded“ und schon glaubt er könne etwas? Pech, dass er dabei den Körper vergessen hat, denn ohne den läuft stets weniger und meistens gar nichts. Wenn „Handlungsmuster“ also nur mental verfügbar sind, dann sind es eben keine. Sondern es bleiben bloße Denkmuster, also Modelle, wie wir Situationen bearbeiten könnten, wenn wir uns denn in solche Situation begeben würden. „Ich könnte, wenn ich wollte …“ – so denken ja viele, altersübergreifend.

„Wenn Du wissen willst, was Du willst, dann beobachte, was Du tust“. Ein weiter-bildender Satz von Wittgenstein, da er Wille, Beobachtung und Tat unter dem Dach von Erkenntnis verschaltet.

Ein anderer Grund im konditionalen Könnte zu verweilen, kann auch gerade unsere Expertise sein, denn sie ist der Ort mit unserem größten Lernerfolg und damit unseren bewährtesten Mustern. Dieser sichere Hafen kann uns daran hindern, uns in wirklich neue Lernfelder zu begeben bzw. uns dort auch zu bewegen. Solche eine Querbewegung bedeutet Risiko, verlangt daher Mut und muss Mann oder Frau somit wirklich wollen; denn sie ist mit Verlustängsten verbunden: von real monetär bis hin zu real blamabel.

Wirksame „Weiter-Bildung“ sollte daher die realen Anschlussfelder in der Breite auf der Innenseite der Einzelnen generieren, denn nur das schafft den integrativen Kitt, den eine hoch diverse und hoch komplexe Gesellschaft unserer Zeit notwendig braucht, also um Nöte zu wenden. Erst durch ein Weiter an Stelle eines Enger wird Orientierung möglich, auf der individuellen Ebene wie auf der gemeinsamen. Zwischenräume sind im Gegensatz zu Räumen stärker flankiert, sie ermöglichen Bewegung und geben zugleich Halt; daher wirken sie Sinn-stiftend.

Die gängige Raumkultur wird von Experteninseln aufgespannt, gerade auch in der Bildung. Und es sind deren Leuchttürme, die einerseits umherirrenden Reisenden Rettung versprechen, und die gleichzeitig, zur anderen, unsicheren Seite hin, in kurzen Abständen bloß, in das wilde Zwischenraumdunkel des unwägbaren Meeres hinein blitzen. Einige  Inselbewohner ahnen zwar um die Mächtigkeit dieses Zwischenraumes, ihn jedoch eher fürchtend und eigene Werte auflösend als neue Werte schöpfend.

„Weiter-Bildung“ braucht daher den Mut, dem Querdenken auch ein Querhandeln folgen zu lassen, damit dem Zwischenraumdunkel „neues Land“ abgewonnen werden kann. Es braucht mehr und kompetente und mutige Zwischenraumfahrer …

 

Die Möwe und der Zwischenraum …

Möwen sind Flugkünstler und gar nicht einfach zu fassen. Wie Gedanken können sie hoch fliegen, wendig sein und dem Beobachter entwischen. Diese hier ist bodenständig, also nicht abgehoben und sie beobachtete mich, wie ich sie beobachtete. Der wachsame wippende Möwenkopf bewegte sich vor uns auf und ab, den Kai entlang, gegen dessen Vertikale die Wellen schlugen und auf dessen Horizont sich das Himmelsblau im Spritzwasser spiegelte. Ihr tickender Gang und die warme Sonne machte uns müde, weshalb wir entspannt mit dem Rücken an der Mauer lehnten. Nur meine Kamera und ich blickten ihr langsam folgend hin und her. Immer wieder waren wir im Fokus der Möwe – und umgekehrt. Bis ich schließlich den Zwischenraum wahrnahm, der die Möwe an mich band. Dort lag ihr Ziel, ihr „Augen-Merk“; ich lag lediglich hin und wieder in der Verlängerung. Es war eine Sardine, die das Meer über die Kante geworfen hatte und deren kleines Leben bereits unter der Sonne verdunstet war. In diesem Raum zwischen uns, also im Jenseits der jeweils eigenen Grenzen, lag für uns beide das Futter für Neues, welches das Erfliegen von Horizonten möglich machte …