Archiv der Kategorie: Weiter-Bildung

Bildung – zwischen Menschen und Maschinen …

Wenn Menschen Maschinen trainieren, in dem sie etwa Robotern etwas beibringen, dann ist das im Grunde eine nützliche und so gesehen sinnvolle Angelegenheit. Wenn allerdings Maschinen beginnen Menschen zu trainieren, dann wird es nach und nach gefährlich. Und weil Bildung in den letzten 20 Jahren maschinenhafte Züge bekommen hat – Prozesse in Bildungseinrichtungen wurden operationalisiert und funktionlisiert ohne den „Gewinn“ für Bildung(sprozesse) zu  nutzen – deshalb befinden wir uns bereits mitten in der Gefahrenzone.

Dass wir als Gesellschaft, als Familie, als Einzelpersonen (gerade männliche)  Jugendliche nicht mehr so erreichen wie früher, sehe ich als eine Folge, als Kon-Sequenz davon. Und eine Folge dieser Folge könnte dann auch die Anfälligkeit für Ideologien, für die Schwarz-Weiß-Sicht, für die digital-radikalen Haltungen sein, weil die analogen Graustufen des sozialen Zwischenraums mit seinen diversen Sprachebenen (Wort, Mimik, Verhalten) nicht eingeübt wurden …

 

Der Traum „vom autonomen Auto“ …

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Autohersteller auf der US-Messe CES (2015)

Der Traum vom Fahren ist offenbar, nicht mehr fahren zu müssen, zumindest wenn fahren „Führen“ bzw. „Steuern“ bedeutet. So wird es zumindest auf der diesjährigen Messe in Las Vegas eindrucksvoll (weil emotional) kommuniziert (tagesschau vom 6.1.2015).

Wenn das Automobil letzten Endes auto-mobil wird, dann hat der Fahrzeugführer an Einfluss verloren, denn die Entscheidung für oder gegen eine Aktion wird ihm abgenommen. Was vor Jahren mit den „intelligenten Kopierern“ in unseren Büros angefangen hat, wird in den kommenden Jahren bis Jahrzehnten in einer Autonomisierung der Maschinen gipfeln.

Das kann Mann oder Frau auf der einen Seite als Erleichterung empfinden, auf der anderen Seite müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass damit dem Menschen ein weiteres Trainingsfeld für Entscheiden und Handeln weggenommen wird. Und wie wollen wir Handeln können, wenn wir nie geübt haben mit Unsicherheit umzugehen, von der Verantwortung des eigenen Handelns ganz zu schweigen. Die Nachwachsenden haben m.E. auch zunehmend weniger „Landkarten“ im Kopf, denn die Orientierung übernimmt „das Navi“. Dem überlassen wir die Entscheidung, wie wir fahren (ich ver- oder überlasse mich beispielsweise deutlich weniger dem Navi als meine Söhne …) – manchmal ist es besser, manchmal nicht.

Wenn wir es als Luxus betrachten, nicht mehr enstscheiden zu müssen, dann ist ein „Auto-Auto“ in der Tat ein Luxusgut. Wenn wir hingegen Entscheidungsfähigkeit als ein Lebensmerkmal ansehen, dann schimmert durch solche Luxusgüter ein Etwas, dem zu erliegen zur Folge haben könnte, das Menschliche langfristig zu erlegen (in Organisationen ist das m.E. auch zu beobachten …). Wo wollen wir Entscheidungskompetenz langfristig verorten: in uns oder außerhalb von uns, in einem System oder außerhalb des jeweiligen Systems – das scheint mir im Kontext von Führung eine spannende Frage zu sein.

Und letztlich: Das alles hat ganz viel mit Bildung zu tun, jedoch weniger mit dem, was landläufig mit „Wissen“ bezeichnet wird. Denn es geht ganz eigentlich darum, eine Kompetenz für die Handhabung von Unsicherheit zu entwickeln, erst daraus entwickelt sich „Sicherheit“ für lebende Systeme. Deshalb kann man „Un-Sicherheit“ auch als einen (positiven) Wert ansehen; und verschwinden wird sie allemal nicht, denn sie wesentlicher Bestandteil des Lebendigen …

Zurück zum Ausgangspunkt: Das Auto-Auto (sozusagen ein Automobil 2. Ordnung) wird mit Sicherheit kommen und ich kann dem auch einiges abgewinnen (d.h. Interessantes visionieren), allerdings weniger gut, wenn ich als (schleichende) Gegenleistung auf meine Autonomie verzichten soll. Also gilt es zu danach zu fahnden, wo die autonomen Felder für das Menschsein im 21. Jahrhundert liegen könnten – das hätte etwas von neuem Freiraum. Das hat etwas von: eine andere liberale Idee braucht es. Gesucht wird demnach ein Gegen-Wert zur allgemeinen Auto-Auto-Tendenz in einer zunehmend durchoperationalisierten Postmoderne, das wäre eine Art neue liberale Qualität, die mehr Sinn macht – aber das ist ja auch nicht neu …

P.S.: Dass in den 90er-Jahren dazu übergangen wurde, die Autobahnausfahrten mit Nummern zu versehen, ist ein weiteres kleines, aus meiner Sicht jedoch konkretes Beispiel, wie wir die Ausbildung von mentalen Landkarten („mind maps“) eher unterdrücken als förderrn. Denn so praktisch eine Zahl gerade wegen ihrer Abstraktheit ist (sie sind absolut wert-voll in der Relation), so tragisch ist, dass durch ihre Verwendung bei der Bezeichnung von Ausfahrten in realen Landschaften, die neuronale Vernetzung mit der lokalen Region mit Namen, Bild, Emotion usw. entkoppelt wird. Auf Dauer hat das eine entfremdende Wirkung – die sich auch in der Alltagssprache abbildet: „Da musst die Ausfahrt 37 nehmen …“

Lernende Systeme – auch Thema im Trendbuch 2014

Im Trendbuch 2014 von Sonja Radatz schreibt u.a. Bernhard Pörksen als Gastautor zum Thema Bildung. Hier eine kurze Zusammenfassung:

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Zitat: >> Wir leben immer noch das Lehr-Paradigma anstatt das Lern-Paradigma.
Wir glauben immer noch, Wissen ließe sich „einflößen“
(und handeln sogar noch danach!).
Und wir verstehen Lernen immer noch als ein Denkergebnis
(das kontextunabhängig ist)
und nicht als ein Denkereignis…
Und die Folgen erleiden wir. Täglich.

Problematik #1: Wir leben immer noch das Lehr-Paradigma
Die erste und vielleicht wichtigste Umorientierung besteht darin,
dass das Lehr-Paradigma durch das Lern-Paradigma ersetzt wird.
Das Lehr-Paradigma sieht vor, dass ein Wissender –
der Dozent, der Professor – das unwissende Publikum allmählich
in eine wissende Gemeinschaft verwandelt.
Er weiß, welchen Stoff er vermitteln will,
er kennt den optimalen Weg zu seiner Präsentation,
er zergliedert die Wissensbestände in verdauliche Portionen,
hebt allmählich das Niveau und schraubt sich
von einfachen Überlegungen zu komplizierten Gedankengängen empor.
Der Lernende hat in diesem öden Spiel die Rolle des passiven Rezipienten;
er hört zu, er macht sich Notizen und versucht nachzuvollziehen,
was der Lehrende sagt und meint.
Schließlich wird das Gewusste wiederholt, es folgt der unvermeidliche Test,
die Prüfung, dann die Note.

Problematik # 2: Der Glaube, Wissen ließe sich „einflößen“
Die verborgene Epistemologie eines solchen Vorgehens besteht darin,
dass man glaubt, es gebe allgemeine Prinzipien optimaler Stoffvermittlung;
man meint, Wissen ließe sich – vergleichbar mit einer Substanz wie Kaffee oder Zucker –
dem Unwissenden einflößen, um ihn auf diese Weise aus seinem rohen,
noch ungebildeten Zustand zu erlösen; Aufgabe des Lernenden sei es,
dieses von Personen und Handlungen abgetrennte Wissen in seinem Gedächtnis zu speichern.

Problematik # 3: Wissen wird als Denkergebnis verstanden
Wissen ist hier, so zeigt sich unmittelbar,
ein übertragbares, verdinglichtes Denkergebnis
und nicht ein Denkereignis,es ist nicht gebunden an Menschen,
nicht gekoppelt an einen Beobachter,
nicht bezogen auf eine besondere Situation oder Atmosphäre,
die dieses Wissen überhaupt erst lebendig und damit brauchbar werden lässt. <<

DasBuch gibt es hier:
http://tiny.cc/a346ix

Mein Beitrag im Buch hat den Titel:
„Physik meets Economy: Menschsein in Organisation – Die Kultur des Dazwischens“

Sensationeller Fund im Voralpenland …

141009_Sensation_Quartett_bea9. Okt. 2014,  Grenzregion Württemberg-Bayern: Die sonnige Föhnwetterlage nutzen hier offenbar einige Schulklassen für Wandertage, denn der Regionalzug, in dem ich hier sitze, wird überschwemmt von Schülern. Nachdem ich in meiner Viersitz-Anordnung zuerst von zwei Teenagerinnen und einem Lehrer umgeben war, wechselt die Besetzung in Aichstetten und ich sitze im Kreis von drei älteren Grundschuljungs. Plötzlich fragt einer von ihnen einen anderen: „Hast Du Spiele dabei?“ und ich denke, jetzt ziehen sie gleich ihre Mobilteile raus (wie einige andere), verfallen in die bekannte Screen-„Starre“ und die routinierte Daumen-Zeigefinger-„Bewegtheit“. Doch zu meiner Überraschung angelt der Junge neben mir einen Stapel Quartett-Spiele aus seinem Rucksack, durch Gummi sorgfältig zusammengehalten. Sie diskutieren kurz welches der Spiele (Autos, Panzer, Schiffe, Flugzeuge) sie spielen, legen dann mit Begeisterung los – und die Jungs spielen dann wirklich (im Sinne von maximal wirksam) mit-ein-ander …

Fundgegenstand: Wirk(sam)liches Leben (Kategorie Werte&Bildung)
Fundort: Kreis Leutkirch bzw. Kreis Memmingen, Regionalbahn
Fundzeit: 9. Okt. 2014, 8:58h

 

Bildung und Fallpauschalen: Fertigkeiten statt Fertigung …

Wenn „Bildung“ vermittelbar wäre, dann hieße es nicht Bildung sondern Vermittlung; d.h. die Bezeichnung für den Prozess finde ich durchaus passend, allerdings nicht, was daraus gemacht wurde bzw. vielfach (noch) gemacht wird.  „Wissen“ ist nach meinem Verständnis auch nicht vermittelbar, sondern nur erfahrbar (hier spielt der Unterschied zu Information eine Rolle).

Und Bildungsziele sind auch wunderbar. Wenn jedoch „Zielplanung“ meint, dass der Bildungsprozess bei lebenden Systemen kalkulierbar sein muss wie der Fertigungsprozess in einer Produktion, dann geht der Unterschied des Lebendigen, man könnte auch sagen des Menschseins, verloren. Das Ergebnis sind „fertige“ Absolventen, statt Absolventen mit Fertigkeiten.

Wozu diese, ich nenne sie mal „kalte Operationalisierung“ führt, sieht Mann und Frau im Bereich Gesundheitswesen, z.B. in vielen Arztpraxen oder Krankenhäusern: werde ich dort als Mensch oder als Fall(Pauschale) wahrgenommen.

Und in Bildungseinrichtungen? Werden da Menschen oder künftige Funktionselemente einer operationalisierten Gesellschaft unterrichtet: G8 ist doch Ausdruck eines „effizienten“ Konditionierungsversuchs und steht damit in Kontrast zu Bildung, wo etwas unter Zugeständnis von Dauer heranreifen kann: wenn nämlich aus Fähigkeiten Fertigkeiten entwickelt werden (was ich als „die Straße des Gelingens“ bezeichne).

Übrigens, die Rückwirkungen auf die Mitglieder der Organisation Schule waren auch bei G9 schon bekannt: Die als Bildungsvermittler eingestellten Kräfte, einstmals durchaus motiviert angetreten, schlagen irgendwann völlig verunsichert (weil ohne Selbstvertrauen) und damit entkräftet in den für Heilung gedachten EInrichtungen (s.o.) als Fallpauschalen mit Depression, Frustration, Burnout etc. auf. Und dann ist der nächste Schritt häufig Frühverrentung.

Und es ist unvermeidbar, dass all das „vor-bildlich“ auf Reifungsprozesse von Heranwachsenden wirkt – wie auch auf die anderen Gesellschaftsglieder …

 

Querhandeln, Weiterbildung und Zwischenraumfahrer

Zur „Weiter-Bildung“ von Systeminnenräumen …

Lebenslangen Lernen ist in vielen Mündern: in denen der Unternehmensorganisation ebenso wie in denen von Instituten und staatlichen Einrichtungen. Also ob wir auch nicht lernen könnten, wenn wir leben. Denn jeder findet sich in einem Umfeld wieder („der Kontext“), in dem er mehr oder weniger aktiv ist. Er wird z.B. selbst tätig – oder er lässt sich betätigen, was wir dann „funktionieren“ verbinden. Wenn die Tätigkeit untätig ist, dann reden wir von „sich bedienen lassen“. Diese unterschiedlichen Aktionsmodi kennen Sie vermutlich aus Ihrer Arbeits- und Familienkultur. Eltern kennen es gut von Pubertierenden. „Bedienen“ ist aber auch auffälligstes Merkmal der modernen Medienkultur: sie liefert, wir nehmen auf – und manchmal sind wir damit bedient.

Damit das mediale Bedienen einen positiven Anstrich bekommt, nennen wir diese Daseinsform „Unterhaltung“. Ich denke bei dem Wort unwillkürlich auch an Unterhalt und damit Abhängigkeit. Das heißt, wer sich selbst nicht halten kann (durchaus auch im Sinne von erhalten), ist in einem Maße mehr auf andere angewiesen als es ihm eigentlich entspricht. Der Wort und Bedeutungsspieler sieht im kursiv gedruckten auch die Worte „eigen“ und „ich“ – und der Coach nutzt es als Intervention …

Die Bildungschance für morgen besteht also darin, die Weiterbildung in eine „Weiter-Bildung“ zu transformieren, damit der oder die Einzelne zu einer breiteren und größeren Handlungsfähigkeit befähigt werden. Denn neben dem äußeren Möglichkeitsraum muss auch der individuelle Systeminnenraum, der die Verhaltensmöglichkeiten und damit die Anschlussmuster an die Außenwelt generiert, entsprechend wachsen. An dieser Stelle lässt sich auf ein Zitat Heinz von Foerster verweisen oder auch Ashby’s Law, was ich mir en Detail jedoch erspare.

Bildet sich auf der Innenseiten eines (lebenden) Systems die Komplexität der Außenwelt nur unzureichend ab, dann gerät das System früher oder später in eine existenzielle Schieflage. Und dann tritt allmählich eine gewisse Abschottung, ein „Dichtmachen“ ein, d.h. der Austausch mit der Umwelt und damit die Chance auf Erhöhung der Binnenstruktur verringert sich. Die verminderte Anschlussfähigkeit erzeugt eine negative Rückkopplung, d.h. sie verstärkt diesen ausgrenzenden Prozess, bis irgendwann schließlich ein existenzielles Notprogramm getriggert wird: d.h. es treten archaische Verhaltensweisen in den (Inter)Aktionsraum, die viele andere Beobachter und Agierende in der Außenwelt schon längst vergessen glaubten (vgl. aggressive männliche Jugendliche).

Aber welcher Körper vergisst schon etwas …? Vergessen kann doch nur unser Verstand, oder nicht? Denn wer bildet sich „weiter“? Ist es bloß der Verstand, der sich ein neues Trainingsmodul „downloaded“ und schon glaubt er könne etwas? Pech, dass er dabei den Körper vergessen hat, denn ohne den läuft stets weniger und meistens gar nichts. Wenn „Handlungsmuster“ also nur mental verfügbar sind, dann sind es eben keine. Sondern es bleiben bloße Denkmuster, also Modelle, wie wir Situationen bearbeiten könnten, wenn wir uns denn in solche Situation begeben würden. „Ich könnte, wenn ich wollte …“ – so denken ja viele, altersübergreifend.

„Wenn Du wissen willst, was Du willst, dann beobachte, was Du tust“. Ein weiter-bildender Satz von Wittgenstein, da er Wille, Beobachtung und Tat unter dem Dach von Erkenntnis verschaltet.

Ein anderer Grund im konditionalen Könnte zu verweilen, kann auch gerade unsere Expertise sein, denn sie ist der Ort mit unserem größten Lernerfolg und damit unseren bewährtesten Mustern. Dieser sichere Hafen kann uns daran hindern, uns in wirklich neue Lernfelder zu begeben bzw. uns dort auch zu bewegen. Solche eine Querbewegung bedeutet Risiko, verlangt daher Mut und muss Mann oder Frau somit wirklich wollen; denn sie ist mit Verlustängsten verbunden: von real monetär bis hin zu real blamabel.

Wirksame „Weiter-Bildung“ sollte daher die realen Anschlussfelder in der Breite auf der Innenseite der Einzelnen generieren, denn nur das schafft den integrativen Kitt, den eine hoch diverse und hoch komplexe Gesellschaft unserer Zeit notwendig braucht, also um Nöte zu wenden. Erst durch ein Weiter an Stelle eines Enger wird Orientierung möglich, auf der individuellen Ebene wie auf der gemeinsamen. Zwischenräume sind im Gegensatz zu Räumen stärker flankiert, sie ermöglichen Bewegung und geben zugleich Halt; daher wirken sie Sinn-stiftend.

Die gängige Raumkultur wird von Experteninseln aufgespannt, gerade auch in der Bildung. Und es sind deren Leuchttürme, die einerseits umherirrenden Reisenden Rettung versprechen, und die gleichzeitig, zur anderen, unsicheren Seite hin, in kurzen Abständen bloß, in das wilde Zwischenraumdunkel des unwägbaren Meeres hinein blitzen. Einige  Inselbewohner ahnen zwar um die Mächtigkeit dieses Zwischenraumes, ihn jedoch eher fürchtend und eigene Werte auflösend als neue Werte schöpfend.

„Weiter-Bildung“ braucht daher den Mut, dem Querdenken auch ein Querhandeln folgen zu lassen, damit dem Zwischenraumdunkel „neues Land“ abgewonnen werden kann. Es braucht mehr und kompetente und mutige Zwischenraumfahrer …