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Der Traum „vom autonomen Auto“ …

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Autohersteller auf der US-Messe CES (2015)

Der Traum vom Fahren ist offenbar, nicht mehr fahren zu müssen, zumindest wenn fahren „Führen“ bzw. „Steuern“ bedeutet. So wird es zumindest auf der diesjährigen Messe in Las Vegas eindrucksvoll (weil emotional) kommuniziert (tagesschau vom 6.1.2015).

Wenn das Automobil letzten Endes auto-mobil wird, dann hat der Fahrzeugführer an Einfluss verloren, denn die Entscheidung für oder gegen eine Aktion wird ihm abgenommen. Was vor Jahren mit den „intelligenten Kopierern“ in unseren Büros angefangen hat, wird in den kommenden Jahren bis Jahrzehnten in einer Autonomisierung der Maschinen gipfeln.

Das kann Mann oder Frau auf der einen Seite als Erleichterung empfinden, auf der anderen Seite müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass damit dem Menschen ein weiteres Trainingsfeld für Entscheiden und Handeln weggenommen wird. Und wie wollen wir Handeln können, wenn wir nie geübt haben mit Unsicherheit umzugehen, von der Verantwortung des eigenen Handelns ganz zu schweigen. Die Nachwachsenden haben m.E. auch zunehmend weniger „Landkarten“ im Kopf, denn die Orientierung übernimmt „das Navi“. Dem überlassen wir die Entscheidung, wie wir fahren (ich ver- oder überlasse mich beispielsweise deutlich weniger dem Navi als meine Söhne …) – manchmal ist es besser, manchmal nicht.

Wenn wir es als Luxus betrachten, nicht mehr enstscheiden zu müssen, dann ist ein „Auto-Auto“ in der Tat ein Luxusgut. Wenn wir hingegen Entscheidungsfähigkeit als ein Lebensmerkmal ansehen, dann schimmert durch solche Luxusgüter ein Etwas, dem zu erliegen zur Folge haben könnte, das Menschliche langfristig zu erlegen (in Organisationen ist das m.E. auch zu beobachten …). Wo wollen wir Entscheidungskompetenz langfristig verorten: in uns oder außerhalb von uns, in einem System oder außerhalb des jeweiligen Systems – das scheint mir im Kontext von Führung eine spannende Frage zu sein.

Und letztlich: Das alles hat ganz viel mit Bildung zu tun, jedoch weniger mit dem, was landläufig mit „Wissen“ bezeichnet wird. Denn es geht ganz eigentlich darum, eine Kompetenz für die Handhabung von Unsicherheit zu entwickeln, erst daraus entwickelt sich „Sicherheit“ für lebende Systeme. Deshalb kann man „Un-Sicherheit“ auch als einen (positiven) Wert ansehen; und verschwinden wird sie allemal nicht, denn sie wesentlicher Bestandteil des Lebendigen …

Zurück zum Ausgangspunkt: Das Auto-Auto (sozusagen ein Automobil 2. Ordnung) wird mit Sicherheit kommen und ich kann dem auch einiges abgewinnen (d.h. Interessantes visionieren), allerdings weniger gut, wenn ich als (schleichende) Gegenleistung auf meine Autonomie verzichten soll. Also gilt es zu danach zu fahnden, wo die autonomen Felder für das Menschsein im 21. Jahrhundert liegen könnten – das hätte etwas von neuem Freiraum. Das hat etwas von: eine andere liberale Idee braucht es. Gesucht wird demnach ein Gegen-Wert zur allgemeinen Auto-Auto-Tendenz in einer zunehmend durchoperationalisierten Postmoderne, das wäre eine Art neue liberale Qualität, die mehr Sinn macht – aber das ist ja auch nicht neu …

P.S.: Dass in den 90er-Jahren dazu übergangen wurde, die Autobahnausfahrten mit Nummern zu versehen, ist ein weiteres kleines, aus meiner Sicht jedoch konkretes Beispiel, wie wir die Ausbildung von mentalen Landkarten („mind maps“) eher unterdrücken als förderrn. Denn so praktisch eine Zahl gerade wegen ihrer Abstraktheit ist (sie sind absolut wert-voll in der Relation), so tragisch ist, dass durch ihre Verwendung bei der Bezeichnung von Ausfahrten in realen Landschaften, die neuronale Vernetzung mit der lokalen Region mit Namen, Bild, Emotion usw. entkoppelt wird. Auf Dauer hat das eine entfremdende Wirkung – die sich auch in der Alltagssprache abbildet: „Da musst die Ausfahrt 37 nehmen …“

Der Tesserakt – und ein Mehr-Zeller in Bewegung …

150106_Tesserakt„tessera“ heißt vier auf griechisch und „Tesserakt“ bezeichnet einen vierdimensionalen Hyperwürfel, der freilich nicht wirklich vorstellbar ist.

Während wir uns einfach vorstellen können wie aus einem Punkt eine Linie wird, wie aus einer Linie ein Quadrat und aus einem Quadrat ein Würfel, scheitern wir bei der Fortsetzung, nämlich wie aus einem Würfel ein Tesserakt wird, ein Hyperwürfel. Also ein Gebilde aus acht gleich großen Würfeln, ein Acht-Zeller.

Allerdings gibt es hier eine interessante Simualtion eines Acht-Zellers, die als visualisierte Annäherung (die Zellen sind eben keine Würfel) an den Tesserakten dient. Das schöne dabei ist, dass dieses Gebilde sich permanent umstülpt und sich damit kontinuierlich „rund“-erneuert. Das finde ich eine inspirierende Animation, denn ich sehe darin eine Metapher für andere Vielzeller, Lebewesen etwa oder lebende Systeme ganz allgemein. Die kontinuierliche Selbst- bzw. Eigenreferenz als Voraussetzung für Entwicklung, d.h. Ent-Wicklung – und damit Fortsetzung, also Fort-Setzung …

Quelle: Wikipedia

Lernende Systeme – auch Thema im Trendbuch 2014

Im Trendbuch 2014 von Sonja Radatz schreibt u.a. Bernhard Pörksen als Gastautor zum Thema Bildung. Hier eine kurze Zusammenfassung:

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Zitat: >> Wir leben immer noch das Lehr-Paradigma anstatt das Lern-Paradigma.
Wir glauben immer noch, Wissen ließe sich „einflößen“
(und handeln sogar noch danach!).
Und wir verstehen Lernen immer noch als ein Denkergebnis
(das kontextunabhängig ist)
und nicht als ein Denkereignis…
Und die Folgen erleiden wir. Täglich.

Problematik #1: Wir leben immer noch das Lehr-Paradigma
Die erste und vielleicht wichtigste Umorientierung besteht darin,
dass das Lehr-Paradigma durch das Lern-Paradigma ersetzt wird.
Das Lehr-Paradigma sieht vor, dass ein Wissender –
der Dozent, der Professor – das unwissende Publikum allmählich
in eine wissende Gemeinschaft verwandelt.
Er weiß, welchen Stoff er vermitteln will,
er kennt den optimalen Weg zu seiner Präsentation,
er zergliedert die Wissensbestände in verdauliche Portionen,
hebt allmählich das Niveau und schraubt sich
von einfachen Überlegungen zu komplizierten Gedankengängen empor.
Der Lernende hat in diesem öden Spiel die Rolle des passiven Rezipienten;
er hört zu, er macht sich Notizen und versucht nachzuvollziehen,
was der Lehrende sagt und meint.
Schließlich wird das Gewusste wiederholt, es folgt der unvermeidliche Test,
die Prüfung, dann die Note.

Problematik # 2: Der Glaube, Wissen ließe sich „einflößen“
Die verborgene Epistemologie eines solchen Vorgehens besteht darin,
dass man glaubt, es gebe allgemeine Prinzipien optimaler Stoffvermittlung;
man meint, Wissen ließe sich – vergleichbar mit einer Substanz wie Kaffee oder Zucker –
dem Unwissenden einflößen, um ihn auf diese Weise aus seinem rohen,
noch ungebildeten Zustand zu erlösen; Aufgabe des Lernenden sei es,
dieses von Personen und Handlungen abgetrennte Wissen in seinem Gedächtnis zu speichern.

Problematik # 3: Wissen wird als Denkergebnis verstanden
Wissen ist hier, so zeigt sich unmittelbar,
ein übertragbares, verdinglichtes Denkergebnis
und nicht ein Denkereignis,es ist nicht gebunden an Menschen,
nicht gekoppelt an einen Beobachter,
nicht bezogen auf eine besondere Situation oder Atmosphäre,
die dieses Wissen überhaupt erst lebendig und damit brauchbar werden lässt. <<

DasBuch gibt es hier:
http://tiny.cc/a346ix

Mein Beitrag im Buch hat den Titel:
„Physik meets Economy: Menschsein in Organisation – Die Kultur des Dazwischens“

Bildung und Fallpauschalen: Fertigkeiten statt Fertigung …

Wenn „Bildung“ vermittelbar wäre, dann hieße es nicht Bildung sondern Vermittlung; d.h. die Bezeichnung für den Prozess finde ich durchaus passend, allerdings nicht, was daraus gemacht wurde bzw. vielfach (noch) gemacht wird.  „Wissen“ ist nach meinem Verständnis auch nicht vermittelbar, sondern nur erfahrbar (hier spielt der Unterschied zu Information eine Rolle).

Und Bildungsziele sind auch wunderbar. Wenn jedoch „Zielplanung“ meint, dass der Bildungsprozess bei lebenden Systemen kalkulierbar sein muss wie der Fertigungsprozess in einer Produktion, dann geht der Unterschied des Lebendigen, man könnte auch sagen des Menschseins, verloren. Das Ergebnis sind „fertige“ Absolventen, statt Absolventen mit Fertigkeiten.

Wozu diese, ich nenne sie mal „kalte Operationalisierung“ führt, sieht Mann und Frau im Bereich Gesundheitswesen, z.B. in vielen Arztpraxen oder Krankenhäusern: werde ich dort als Mensch oder als Fall(Pauschale) wahrgenommen.

Und in Bildungseinrichtungen? Werden da Menschen oder künftige Funktionselemente einer operationalisierten Gesellschaft unterrichtet: G8 ist doch Ausdruck eines „effizienten“ Konditionierungsversuchs und steht damit in Kontrast zu Bildung, wo etwas unter Zugeständnis von Dauer heranreifen kann: wenn nämlich aus Fähigkeiten Fertigkeiten entwickelt werden (was ich als „die Straße des Gelingens“ bezeichne).

Übrigens, die Rückwirkungen auf die Mitglieder der Organisation Schule waren auch bei G9 schon bekannt: Die als Bildungsvermittler eingestellten Kräfte, einstmals durchaus motiviert angetreten, schlagen irgendwann völlig verunsichert (weil ohne Selbstvertrauen) und damit entkräftet in den für Heilung gedachten EInrichtungen (s.o.) als Fallpauschalen mit Depression, Frustration, Burnout etc. auf. Und dann ist der nächste Schritt häufig Frühverrentung.

Und es ist unvermeidbar, dass all das „vor-bildlich“ auf Reifungsprozesse von Heranwachsenden wirkt – wie auch auf die anderen Gesellschaftsglieder …