Sensationeller Fund im Voralpenland …

141009_Sensation_Quartett_bea9. Okt. 2014,  Grenzregion Württemberg-Bayern: Die sonnige Föhnwetterlage nutzen hier offenbar einige Schulklassen für Wandertage, denn der Regionalzug, in dem ich hier sitze, wird überschwemmt von Schülern. Nachdem ich in meiner Viersitz-Anordnung zuerst von zwei Teenagerinnen und einem Lehrer umgeben war, wechselt die Besetzung in Aichstetten und ich sitze im Kreis von drei älteren Grundschuljungs. Plötzlich fragt einer von ihnen einen anderen: „Hast Du Spiele dabei?“ und ich denke, jetzt ziehen sie gleich ihre Mobilteile raus (wie einige andere), verfallen in die bekannte Screen-„Starre“ und die routinierte Daumen-Zeigefinger-„Bewegtheit“. Doch zu meiner Überraschung angelt der Junge neben mir einen Stapel Quartett-Spiele aus seinem Rucksack, durch Gummi sorgfältig zusammengehalten. Sie diskutieren kurz welches der Spiele (Autos, Panzer, Schiffe, Flugzeuge) sie spielen, legen dann mit Begeisterung los – und die Jungs spielen dann wirklich (im Sinne von maximal wirksam) mit-ein-ander …

Fundgegenstand: Wirk(sam)liches Leben (Kategorie Werte&Bildung)
Fundort: Kreis Leutkirch bzw. Kreis Memmingen, Regionalbahn
Fundzeit: 9. Okt. 2014, 8:58h

 

Fußball und Management: Ziele vs. Visionen

Am Dienstag saß ich mit einem Manager eines sehr bekannten Unternehmens beim Mittagessen und wir kamen (nicht wirklich überraschend) auf das Thema Organisationsentwicklung und Veränderung zu sprechen. Praktisch zeitgleich mit dem Eintreffen der deutschen Fußballnationalmannschaft, des neuen Weltmeisters, in Berlin. Da ich selber seit 50 Jahren Fußball spiele, habe ich diese Metapher für gelingende Organisation immer sehr authentisch im Köcher.
140717_DFB WM2014_news-de_joker-goetze-schiesst-deutschland-zum-vierten-wm-titel-1405326966 Und als wir über Ziele sprachen, habe ich in einem Nebensatz die Unterscheidung zu Visionen hinterfragt, und es stellte sich heraus, dass mein Gegenüber – obwohl er auch schon viele Berater und Strategieentwickler im Unternehmen erlebt hatte – diesen Unterschied nicht klar angeben konnte. Dann habe ich einfach das Projekt „WM 2014“ genommen und gesagt, dass Joachim Löw ganz bestimmt nicht den Gewinn des WM-Titels als „Ziel“ erklärt hat, sondern dass das eine „Vision“ ist. Seinen staunenden Blick konnte ich auflösen, als ich erklärte, dass weder Löw noch die Mannschaft den Titelgewinn vor einer Endspielbeteiligung wirklich erreichen können.

Denn gute Ziele sind erreichbar (vielleicht kennen Sie S.M.A.R.T. – Ziele, das R steht für realistisch). Und genau das wurde der WM-Titel erst, als das deutsche Team das Halbfinale gewonnen hatte. Aus diesem Grund betonen geschickte Trainer immer so sehr, wie wichtig es ist, das nächste Spiel im Kopf zu haben, nie das übernächste oder noch weiter voraus (wer zu weit vor-aus denkt, steht vor dem aus – sagt mein Sprach- u. Bedeutungsspieler …).

Damit bleibt der Gesamtprozess auf einem realistischen Pfad. Dazu gehört übrigens auch, dass historische Siege wie das 7:1 gegen Brasilien nicht überemotionalisiert werden, denn es ist und bleibt eben bloß ein Schritt im Gesamtprozess. Das haben alle Spieler verstanden, verinnerlicht und auch gelebt (siehe die Interviews danach) – und es ist das Verdienst von Löw und seines Managementteams, diese Werte und die Unterschiede von Ziel und Vision für sich so klar, und als Folge davon, in der Mannschaft nachhaltig installiert und konfiguriert zu haben – innerlich wie äußerlich.

„Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“ – an dieser Stelle widerspreche Helmut Schmidt ausnahmsweise sehr deutlich; und ich möchte seine Aussage sogar umkehren: Wer keine Visionen hat, der sollte einen Arzt oder Therapeuten oder einen (systemischen) Berater aufsuchen …

In jedwedem Sinne: Viel Erfolg!
Claus Riehle

P.S.: Über die besondere soziale Kompetenz, die ich seit Jahren bei Joachim Löw zu beobachten glaube, habe ich mich schon zur letzten Europameisterschaft in der Zeitschrift Lernende Organisation geäußert. Den Artikel (2012, LO68) schicke ich Ihnen gerne bei Interesse …

Schlagworte: #Fußball, #Management, #Ziele, #Visionen, #Löw, #WM2014, #INTERdisziplin

Bildquelle: www.news.de, Antonio Lacerda/dpa

Interdiscipline and soccer – the potential for growth …

140711_DFB-WM-KaderINTERdiszipline – it’s potential for holistic growth is visualized and demonstrated by the soccer game – especially the German team when winning the World Championship 2014 in Brasil.

The WM2014 showed – once again – that team success is not only based on diversity and individual excellence but also on an excellent integration and continous interaction of diverse and focused individuals.

Joachim Löw and his German soccer team is as an example, a Best Practice case for organizational development – my deep congratulations!

The DFB togehter with Jürgen Klinsmann and Joachim Löw and their management team demonstrated what sustainability does really mean:
– 4x semi-final
– 2x final
– 1x World Champion
– since 2002!
Sustainability is more than looking for quick wins – and selling those.

Balancing excellent individuals, their excellent interactions by a vision and a concrete focus can create sustainable success of social systems such as teams, companies and other living systems.

Interdiscipline – the art of systemic.

(#team, #livingsystem, #organization, #management, #excellence, #sustainability, #soccer, #Löw, #bestpractice, #interdiscipline)

Bildquelle: www.dfb.de

Hanns-Josef-Ortheil: „Die Erfindung des Lebens“ …

… ist eine Geschichte über die Findung im Leben, ein autobiographischer Roman über die Findung in Sprache.

Eine Geschichte über einen stummen Jungen, der im Köln der Nachkriegszeit mit einer traumatisierten Mutter aufwächst und der es mit sieben Jahren in der Umgebung der Großfamilie im Westerwald schließlich schafft,  sich seiner Sprache zu bemächtigen. In dem Johannes seine Töne findet, findet er auch auf neue Weise zu sich selbst – und damit in sein eigenes Leben hinein. Dieses Erschließen des Lebens über ZeOrtheil_Spracheichen-Töne-Zeichen, ist der rote Faden dieses autobiographischen Rückblicks, für den sich der Autor noch einmal nach Rom zurückgezogen hat. Denn Rom hat ihn auch verbunden, hat ihm eine Welt eröffnet. Rom verbindet die Hauptfigur in dreifacher Weise: beruflich, emotional und reflektierend.

Zeichen spielen von Beginn an einen Rolle, denn wer nicht spricht – weil mit ihm mütterlicherseits nicht gesprochen wird – ist auf Zeichen angewiesen um zu überleben, insbesondere vielleicht auf Schriftzeichen. Das Alter Ego von Hanns-Josef Ortheil, ist auf unheilschwangere Weise mit seiner Mutter verbunden, emotional sehr eng, doch ohne Töne: Die (musikalische) Mutter spricht nicht mit ihm, „Mutter liest“, und zwischen den beiden wird über Zettel kommuniziert. Über wie unter der spürbaren emotionalen Nähe zwischen Mutter und Kind schwebt ein Trauma …

Es ist zwar eine außergewöhnlich schiefe Dreieck-Situation – stumme Mutter, stummes Kind und versorgender Vater – gleichzeitig es ist in anderer Hinsicht modern bemerkenswert für die damalige Zeit. Denn als die Einschulung ansteht und der Rektor sagt: „Ein stummes Kind wie Johannes ist eine Zumutung für unsere Schule …“, nimmt der Vater die Verantwortung für die Erziehung in die Hand: Er entreißt den Sohn der sprachlosen Symbiose mit der Mutter – beide liebt er übrigens – und bringt ihn auf die großelterliche Hofwirtschaft im Westerwald. Die Leistung des Vaters „… bestand darin, mich von der Mutter und dem einsamen Leben mit ihr zu trennen und in eine Gemeinschaft zu setzen, in der ich eine Aufgabe hatte“, schreibt Johannes aus der spätrömischen Perspektive. Eine vermessen anmutende Intervention, die sich jedoch bald schon als Rettung erweist, denn Johannes entdeckt eine äußere wie innere Ressourcenlandschaft.

Schließlich ist der sprachauslösende Moment ein ganz ruhiger, in dem zwei Kinder einen Fußball kommunizieren: „… das zu sehen, dieses ruhige Kicken, keinen Streit, kein Sprechen, nur dieses Kicken, hin und her“ setzte offenbar einen ent-scheidenden Impuls, brachten den Siebenjährigen in „eine kleine Bewegung nach vorn“ und ent-wickelte dessen Zunge – mit einem Aufrufungszeichen: „Gebt mal her!“. In der Folge gerät auch bei dem aufgetrennten Familiensystem etwas in Bewegung und der Dreiecksprozess entwickelt sich auf einer höheren Oktave.

Es mag Leser und Leserin wundern oder eben nicht, dass ein Vermessungsingenieur das passende Maß findet, sein stummes Kind und seine stumme Ehefrau in ihr dreier Leben (zurück) zu bringen. Jedoch ist der Vater bei aller klaren Ordnung sehr Natur verbunden, weil ländlich geprägt, und damit schafft er es offenbar, das System Familie bzw. deren Elemente in förderliche Kontexte zu balancieren.

Es sei noch verraten, dass das Klavierspiel – eine Kunstfertigkeit der Mutter ursprünglich – ein feste und damit auch verbindende Größe der Hauptfigur ist: zu Beginn schon Köln, dann auch im Westerwald und ganz besonders in Rom. Dort konstelliert sich im letzten Teil des Romans sein fundamentales Dreieck: Liebe, Musik und Schreiben. Und: Hanns-Josef Ortheil scheut das gute Ende nicht …

[Die Rezension erschien in SyStemischer – Die Zeitschrift für systemische Strukturaufstellungen, 4/2013, S.98]

„Eigen-Werte“, Verhaltensmuster und stabile Zustände

Folie1Lassen sich Verhaltensmuster von Menschen auflösen, wenn Frau oder Mann sie erkannt hat?

Auflösen lassen sich Verhaltensmuster aus meiner Sicht eher nicht, da sie ja „erfolgreiche“ Antworten im SInne von gut eingeübt und „damit weiter gekommen“ darstellen. Ein routinehaftes Verhalten eines lebenden Systems für die Interaktion mit seiner Umwelt hat sich offenbar in irgendeiner Weise bewährt, sonst wäre es ja zu keiner „Routine“ geworden. Für vielversprechender halte ich, weitere Handlungsaubläufe zu entwickeln und nach und nach zur Routine werden zu lassen, denn dadurch erhöhe ich meine Auswahl an Möglichkeiten für Verhalten bzw. Systemantworten bei Interaktionen mit der Umwelt.

Während uns Neues mehr oder weniger verunsichert, weil wir dafür keine passenden Antworten haben, stabilisert uns Bewährtes. Wir bevorzugen daher eingeübte Verhaltensmuster. Auflösen im SInne von „Austreiben“ oder „Wegmachen“ lassen sie sich daher wohl kaum, da sie biochemisch-physikalisch codiert in unserem Erfahrungskörper codiert, man könnte auch sagen „eingebrannt“, sind. Jedoch können wir weitere dazu lernen, damit wir anfangs bewusst, später auch unbewusst, über mehr Alternativen verfügen können.

In komplexen Systemen der Physik und Mathematik nennt man solche Muster „Eigen-Werte“ (engl. „Eigen-Value“, vgl. Quantenmechanik und Gleichungssysteme), in der Chaostheorie „Seltsame Atttraktoren“ (engl. „Strange Attratctors“) und in der Ethik spricht man von „Werten“. Denn die Werte einer Gesellschaft tragen offenbar dazu bei, sie zu stabiliseren. Denn es gibt sowohl in sozialen Systemen (Organisationspsychen) wie auch in Einzelpsychen (Mensch)  „stabile Zustände“, die bevorzugt werden oder zu bevorzugen sind, wenn das jeweilige System weiterhin existieren möchte.

Ich habe gerade dazu vor 2 Tagen im Rahmen des Erasmus-IP-Projekts „Engineering Visions“ eine interdisziplinäre Betrachtung vorgestellt, in dem ich einen von  acht „Inspiring Lectures“ an der HTW in Saarbrücken gehalten habe. Mein Beitrag hatte den Titel: „Living Systems – Eigen-Values, i-Formation & inter-Action“.

Bildung und Fallpauschalen: Fertigkeiten statt Fertigung …

Wenn „Bildung“ vermittelbar wäre, dann hieße es nicht Bildung sondern Vermittlung; d.h. die Bezeichnung für den Prozess finde ich durchaus passend, allerdings nicht, was daraus gemacht wurde bzw. vielfach (noch) gemacht wird.  „Wissen“ ist nach meinem Verständnis auch nicht vermittelbar, sondern nur erfahrbar (hier spielt der Unterschied zu Information eine Rolle).

Und Bildungsziele sind auch wunderbar. Wenn jedoch „Zielplanung“ meint, dass der Bildungsprozess bei lebenden Systemen kalkulierbar sein muss wie der Fertigungsprozess in einer Produktion, dann geht der Unterschied des Lebendigen, man könnte auch sagen des Menschseins, verloren. Das Ergebnis sind „fertige“ Absolventen, statt Absolventen mit Fertigkeiten.

Wozu diese, ich nenne sie mal „kalte Operationalisierung“ führt, sieht Mann und Frau im Bereich Gesundheitswesen, z.B. in vielen Arztpraxen oder Krankenhäusern: werde ich dort als Mensch oder als Fall(Pauschale) wahrgenommen.

Und in Bildungseinrichtungen? Werden da Menschen oder künftige Funktionselemente einer operationalisierten Gesellschaft unterrichtet: G8 ist doch Ausdruck eines „effizienten“ Konditionierungsversuchs und steht damit in Kontrast zu Bildung, wo etwas unter Zugeständnis von Dauer heranreifen kann: wenn nämlich aus Fähigkeiten Fertigkeiten entwickelt werden (was ich als „die Straße des Gelingens“ bezeichne).

Übrigens, die Rückwirkungen auf die Mitglieder der Organisation Schule waren auch bei G9 schon bekannt: Die als Bildungsvermittler eingestellten Kräfte, einstmals durchaus motiviert angetreten, schlagen irgendwann völlig verunsichert (weil ohne Selbstvertrauen) und damit entkräftet in den für Heilung gedachten EInrichtungen (s.o.) als Fallpauschalen mit Depression, Frustration, Burnout etc. auf. Und dann ist der nächste Schritt häufig Frühverrentung.

Und es ist unvermeidbar, dass all das „vor-bildlich“ auf Reifungsprozesse von Heranwachsenden wirkt – wie auch auf die anderen Gesellschaftsglieder …

 

Querhandeln, Weiterbildung und Zwischenraumfahrer

Zur „Weiter-Bildung“ von Systeminnenräumen …

Lebenslangen Lernen ist in vielen Mündern: in denen der Unternehmensorganisation ebenso wie in denen von Instituten und staatlichen Einrichtungen. Also ob wir auch nicht lernen könnten, wenn wir leben. Denn jeder findet sich in einem Umfeld wieder („der Kontext“), in dem er mehr oder weniger aktiv ist. Er wird z.B. selbst tätig – oder er lässt sich betätigen, was wir dann „funktionieren“ verbinden. Wenn die Tätigkeit untätig ist, dann reden wir von „sich bedienen lassen“. Diese unterschiedlichen Aktionsmodi kennen Sie vermutlich aus Ihrer Arbeits- und Familienkultur. Eltern kennen es gut von Pubertierenden. „Bedienen“ ist aber auch auffälligstes Merkmal der modernen Medienkultur: sie liefert, wir nehmen auf – und manchmal sind wir damit bedient.

Damit das mediale Bedienen einen positiven Anstrich bekommt, nennen wir diese Daseinsform „Unterhaltung“. Ich denke bei dem Wort unwillkürlich auch an Unterhalt und damit Abhängigkeit. Das heißt, wer sich selbst nicht halten kann (durchaus auch im Sinne von erhalten), ist in einem Maße mehr auf andere angewiesen als es ihm eigentlich entspricht. Der Wort und Bedeutungsspieler sieht im kursiv gedruckten auch die Worte „eigen“ und „ich“ – und der Coach nutzt es als Intervention …

Die Bildungschance für morgen besteht also darin, die Weiterbildung in eine „Weiter-Bildung“ zu transformieren, damit der oder die Einzelne zu einer breiteren und größeren Handlungsfähigkeit befähigt werden. Denn neben dem äußeren Möglichkeitsraum muss auch der individuelle Systeminnenraum, der die Verhaltensmöglichkeiten und damit die Anschlussmuster an die Außenwelt generiert, entsprechend wachsen. An dieser Stelle lässt sich auf ein Zitat Heinz von Foerster verweisen oder auch Ashby’s Law, was ich mir en Detail jedoch erspare.

Bildet sich auf der Innenseiten eines (lebenden) Systems die Komplexität der Außenwelt nur unzureichend ab, dann gerät das System früher oder später in eine existenzielle Schieflage. Und dann tritt allmählich eine gewisse Abschottung, ein „Dichtmachen“ ein, d.h. der Austausch mit der Umwelt und damit die Chance auf Erhöhung der Binnenstruktur verringert sich. Die verminderte Anschlussfähigkeit erzeugt eine negative Rückkopplung, d.h. sie verstärkt diesen ausgrenzenden Prozess, bis irgendwann schließlich ein existenzielles Notprogramm getriggert wird: d.h. es treten archaische Verhaltensweisen in den (Inter)Aktionsraum, die viele andere Beobachter und Agierende in der Außenwelt schon längst vergessen glaubten (vgl. aggressive männliche Jugendliche).

Aber welcher Körper vergisst schon etwas …? Vergessen kann doch nur unser Verstand, oder nicht? Denn wer bildet sich „weiter“? Ist es bloß der Verstand, der sich ein neues Trainingsmodul „downloaded“ und schon glaubt er könne etwas? Pech, dass er dabei den Körper vergessen hat, denn ohne den läuft stets weniger und meistens gar nichts. Wenn „Handlungsmuster“ also nur mental verfügbar sind, dann sind es eben keine. Sondern es bleiben bloße Denkmuster, also Modelle, wie wir Situationen bearbeiten könnten, wenn wir uns denn in solche Situation begeben würden. „Ich könnte, wenn ich wollte …“ – so denken ja viele, altersübergreifend.

„Wenn Du wissen willst, was Du willst, dann beobachte, was Du tust“. Ein weiter-bildender Satz von Wittgenstein, da er Wille, Beobachtung und Tat unter dem Dach von Erkenntnis verschaltet.

Ein anderer Grund im konditionalen Könnte zu verweilen, kann auch gerade unsere Expertise sein, denn sie ist der Ort mit unserem größten Lernerfolg und damit unseren bewährtesten Mustern. Dieser sichere Hafen kann uns daran hindern, uns in wirklich neue Lernfelder zu begeben bzw. uns dort auch zu bewegen. Solche eine Querbewegung bedeutet Risiko, verlangt daher Mut und muss Mann oder Frau somit wirklich wollen; denn sie ist mit Verlustängsten verbunden: von real monetär bis hin zu real blamabel.

Wirksame „Weiter-Bildung“ sollte daher die realen Anschlussfelder in der Breite auf der Innenseite der Einzelnen generieren, denn nur das schafft den integrativen Kitt, den eine hoch diverse und hoch komplexe Gesellschaft unserer Zeit notwendig braucht, also um Nöte zu wenden. Erst durch ein Weiter an Stelle eines Enger wird Orientierung möglich, auf der individuellen Ebene wie auf der gemeinsamen. Zwischenräume sind im Gegensatz zu Räumen stärker flankiert, sie ermöglichen Bewegung und geben zugleich Halt; daher wirken sie Sinn-stiftend.

Die gängige Raumkultur wird von Experteninseln aufgespannt, gerade auch in der Bildung. Und es sind deren Leuchttürme, die einerseits umherirrenden Reisenden Rettung versprechen, und die gleichzeitig, zur anderen, unsicheren Seite hin, in kurzen Abständen bloß, in das wilde Zwischenraumdunkel des unwägbaren Meeres hinein blitzen. Einige  Inselbewohner ahnen zwar um die Mächtigkeit dieses Zwischenraumes, ihn jedoch eher fürchtend und eigene Werte auflösend als neue Werte schöpfend.

„Weiter-Bildung“ braucht daher den Mut, dem Querdenken auch ein Querhandeln folgen zu lassen, damit dem Zwischenraumdunkel „neues Land“ abgewonnen werden kann. Es braucht mehr und kompetente und mutige Zwischenraumfahrer …

 

Die Möwe und der Zwischenraum …

Möwen sind Flugkünstler und gar nicht einfach zu fassen. Wie Gedanken können sie hoch fliegen, wendig sein und dem Beobachter entwischen. Diese hier ist bodenständig, also nicht abgehoben und sie beobachtete mich, wie ich sie beobachtete. Der wachsame wippende Möwenkopf bewegte sich vor uns auf und ab, den Kai entlang, gegen dessen Vertikale die Wellen schlugen und auf dessen Horizont sich das Himmelsblau im Spritzwasser spiegelte. Ihr tickender Gang und die warme Sonne machte uns müde, weshalb wir entspannt mit dem Rücken an der Mauer lehnten. Nur meine Kamera und ich blickten ihr langsam folgend hin und her. Immer wieder waren wir im Fokus der Möwe – und umgekehrt. Bis ich schließlich den Zwischenraum wahrnahm, der die Möwe an mich band. Dort lag ihr Ziel, ihr „Augen-Merk“; ich lag lediglich hin und wieder in der Verlängerung. Es war eine Sardine, die das Meer über die Kante geworfen hatte und deren kleines Leben bereits unter der Sonne verdunstet war. In diesem Raum zwischen uns, also im Jenseits der jeweils eigenen Grenzen, lag für uns beide das Futter für Neues, welches das Erfliegen von Horizonten möglich machte …